31
Okt
2006

Blaue Stunde

Ich bin zurück in meinem alten Dachbodenzimmer in welchem ich die Träume der Jugend flocht,dort,wo Ravi Shankar auf Langspielplatte mich glauben liess ich sei in Indien. Dort,wo die Klänge der Sitar eine blausphärische Stimmung im Zimmer begleitete.
- eine feinstoffliche Welt ohne Gift und ohne Zorn.
Blaue Stunde – sagte meine geliebte Grossmutter – steigt ins Zimmer,wenn abends im kühlen Herbst die Sonne hinter dem Horizont gefallen ist und das Blau des Himmels spiegelnd auf die Erde wirft.
Es springt das kühle Blau in meine Augen – in die faltenlosen Hände,die nach dem Sinn der dargestellten Bewegung suchen – nach dem Sinn des ausgesprochenen Wortes,welches in der Sphäre des blauen Lichtes eintaucht und mitfliesst...
Blaue Stunde verwebt mit Sitarklängen.
Brücken verlorener Sommer verwischen – ich hatte vergessen....
Heute brannten auf allen Friedhöfen kleine Kerzen.
Es lagen Kränze auf vergessenen Leichen.
Es wuchsen Blumen auf vergessenen Geistern.
Es dampfte die Luft – ich glaube Nebel war’s und Regen.

Heute waren alle Emigranten,als sie in den Kirchen Orgelklänge hörten,sangen und beteten – zu irgendjemanden,oder zu Gott?
„Wer ist Gott?“ - „Gott ist überall!“ - „Warum ist Gott?“ man senkte die Augen: „Gott ist gross!“
Ich hörte das Brennen einer Friedhofskerze,obwohl sie so still war,wie ein Augenaufschlagen.
Der Raum um mich ist immernoch in Sitarklänge gehüllt,das kirchliche Glaubenslied hat mich nicht erreicht. Die blaue Stunde wirkte durch das handgefertigte alte Fenster rötlich filtriert.
Ich hatte mich vergessen,während ich den Stürmen, die durch den Raum brausten zuhörte und in irgendwelche Augen sah,die nichts reflektierten,weder Sturm noch Spiegelbild.
Ich hatte mich ergeben noch bevor die Stimme der blauen Stunde in Zimmertemperatur erklang, - doch endlich:“You are still a young man – don’t waste your time and take it easy!“ hatte Mary endlich durch den Sturm gedrängt.
Ich hatte es vergessen,war ergeben in deinen verlorenen Augen und redete nichts.
„Kann man noch Drachen steigen lassen?“fragte ich endlich.
„Es ist schon zu dunkel“
Doch Mary liess ihre Drachen steigen trotzdem sie so verloren und ferne war – es wurde eng im Raum.
„Ferne“ – welch’ ein Begriff!
„Take it easy,baby,take it, as it comes!”
Denn,wenn sich das Leben über dich ergiesst, heist das,dass du stumm sein sollst. Versuche wie ein Vogel zu fliegen über rostrote Dächer in Frühlingsluft.
Auch, wenn niemand dich gesehen haben will, niemand dich spüren,oder eratmen konnte werden deine Hände,deine Flügel dich hinübertragen. „Kommst Du auch ?“
Augen koennen sehen, wie durch geschliffenes Glas.
Münder träumen, wie durch Rosenknospen blühend und sie zerbrechen im Frost des Morgens, wenn man am Strassenrand wacht,um in Regenlacken Illusionen und Tränen aufzufangen, um dann sie auszutrinken, wie den letzten Schluck „Vergiss-mein-nicht- Elixir“.
1.11.1977/29.10.2006

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